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Diskurs

4. Dezember 2023

Wirtschaftsstandort Deutschland – nur noch Ersatzbank?

Deutschlands Wirtschaft schwächelt. Zu den Top-Spielern auf dem Weltmarkt gehört die Bundesrepublik zwar noch, aber sie ist sichtbar angeschlagen. Und noch nie war ihre künftige Rolle in der Weltwirtschaft so ungewiss. Seit vier Jahren befinden sich die deutschen Unternehmen im Dauerkrisenmodus.

Erst kam die Coronapandemie und mit ihr Lieferengpässe, horrende Frachtraten und Materialknappheit, dann trieb Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine die Energiepreise und die Inflation in schwindelerregende Höhen. Und als wäre dies noch nicht kräftezehrend genug, muss sich die deutsche Wirtschaft parallel zum täglichen Krisenmanagement tiefgreifenden Veränderungen stellen, die aus Sicht vieler Ökonomen die Qualität einer neuen, industriellen Revolution haben: Digitalisierung, Dekarbonisierung und der sich stetig verschärfende Fachkräftemangel sind dabei die größten Herausforderungen.


In diesen Zeiten braucht es mehr denn je eine mutige, sachorientierte und kluge Wirtschaftspolitik, die die Unternehmen auf diesem steilen Weg unterstützt. Davon ist jedoch nur wenig zu sehen. Der von Kanzler Olaf Scholz im Herbst 2022 angekündigte „Doppel-Wumms“ zur Abfederung der hohen Energiepreise entfaltete aufgrund hoher Hürden bei der Beantragung und einem Wust an Bürokratie nicht viel mehr Wirkung als eine Knallerbse. Das als Meilenstein gedachte Wachstumschancengesetz wurde vom Bundesrat vorerst abgelehnt und liegt nun dem Vermittlungsausschuss vor. Und zahlreiche Wirtschaftshilfen hängen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit des zweiten Nachtragshaushalts 2021 in der Schwebe.


Der Niedergang der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands hat schon lange vor den aktuellen Krisen begonnen, wie die Wirtschaftshochschule IMD in ihrem jüngsten World Competitiveness Ranking 2023 konstatiert. Seit 2014 ist Deutschland als Wirtschaftsstandort von Platz 6 immer weiter zurückgefallen und liegt aktuell nur noch auf Platz 22 hinter China. In allen vier Hauptfeldern Wirtschaftsleistung, Infrastruktur, Effizienz der Regierung und der Unternehmen hat Deutschland sich verschlechtert. Die Gründe dafür liegen nicht nur in den aktuellen Krisen, wie etwa der Inflation, die die Wirtschaftsentwicklung empfindlich gebremst hat. Vor allem strukturelle Hürden machen das Land unattraktiv. Besonders kritisch sehen die Analysten die hohen Steuern für Unternehmen und Privatpersonen. Hier belegt Deutschland nur Platz 60. Auch bei der Regulierung des Arbeitsmarktes, der Zahl der Arbeitsstunden, der Bürokratie und den Zuwanderungsgesetzen schneidet der Standort unterdurchschnittlich ab.


https://de.statista.com/infografik/30229/abschneiden-von-deutschland-im-world-competitiveness-ranking/


Vor allem die Abgaben und die Bürokratie belasten Unternehmen stark, auch wenn die Politik immer wieder Erleichterungen verspricht. Diese gab es bislang kaum, stattdessen wurden Unternehmen allein im Jahr 2023 mit dem Lieferkettensorgfaltsgesetz und dem Hinweisgeberschutzgesetz zwei neue bürokratische Ungetüme übergeholfen, die viel Geld und Arbeitskraft kosten.


All dies motiviert Firmen nicht, Deutschland als Standort zu wählen oder bestehende Niederlassungen im Land zu erhalten und auszubauen. In den vergangenen Jahren häuften sich daher die Meldungen von namhaften Konzernen, die Deutschland den Rücken kehren und ihre Produktionsstätten in Länder mit geringeren Lohn- und Energiekosten verlagern. Auch Mittelständler investieren zunehmend lieber im Ausland als in heimische Standorte.


„Industrieunternehmen und Mittelstand müssen dringend entlastet werden, sonst können wir uns von unserem Wirtschaftsmodell verabschieden, mit allen negativen Begleiterscheinungen“, mahnt Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von 15 Arbeitgeberverbänden und Vorsitzender des Kuratoriums der SNIW. „Der anhaltende Pessimismus der meisten Unternehmen und sämtlicher Konjunkturprognosen verdeutlichten, dass wir dringend einen großen Wurf brauchen: Von einer Unternehmenssteuerreform, über eine radikale Entbürokratisierung bis hin zu einfachen, schnellen Planungs- und Genehmigungsverfahren.“ Hier muss die Politik umgehend handeln. Andernfalls sitzt Deutschland als Industriestandort bald auf der Reservebank – und das dauerhaft.


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