top of page

Kamingespräche

12. Januar 2024

Denkanstöße mit Feuer: Intensive Diskussion zur Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland beim ersten „Kamingespräch“ der SNIW

Bundesminister a.D. Sigmar Gabriel, Ökonomieprofessor Lars Feld und Kuratoriumsvorsitzender Dr. Volker Schmidt sprechen mit mehr als 100 hochrangigen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Forschung im Schloss Herrenhausen darüber, wie die Bundesrepublik ihre Führungsrolle auf den Weltmärkten noch behaupten kann.

Bisher war auf die wirtschaftliche Stärke Deutschlands immer Verlass. Europas Wirtschaftsmotor brummte selbst, wenn am globalen Konjunkturhimmel einmal dunkle Wolken aufzogen. Diese Stärke wurde zur Gewissheit: Stets zeigten sich in Umfragen gut zwei Drittel der Bevölkerung davon überzeugt, dass die Bundesrepublik auch in zehn Jahren noch zu den führenden Wirtschaftsnationen der Welt gehören würde. Nach vier Jahren Krisenmodus mit den Folgen der Coronapandemie, der Energiekrise, einer massiven Inflation, dem sich zuspitzenden Fachkräftemangel sowie der von der Bundesregierung vehement vorangetriebenen Klimawende hat sich diese Überzeugung allerdings grundlegend verändert. Nicht einmal ein Drittel glaubt noch daran, dass Deutschland seine Führungsrolle auf den Weltmärkten langfristig behaupten kann, und vier von fünf Bundesbürgern gehen davon aus, dass die wirtschaftliche Bedeutung der Bundesrepublik eher ab- als zunehmen wird.


„Ist hier bald Feierabend?“ – lautete denn auch der provokanten Titel der Stiftung Niedersächsische Wirtschaftsforschung (SNIW), um beim ersten „Kamingespräch“ über die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu diskutieren. Das brisante Thema stößt auf großes Interesse, rund 100 hochrangige Gäste aus Politik, Wirtschaft und Forschung sind der Einladung ins Schloss Herrenhausen in Hannover gefolgt und haben am Donnerstagabend das von Martin Brüning moderierte Gespräch zwischen Bundesminister a.D. und ehemaligen Vizekanzler Sigmar Gabriel, dem früheren Vorsitzenden der „Wirtschaftsweisen“ und jetzigen Berater des Bundesfinanzministers, Prof. Lars Feld sowie dem Vorsitzenden des Kuratoriums der SNIW, Dr. Volker Schmidt, verfolgt.



Heiße Diskussionen: Die Kaminrunde im Schloss Herrenhausen



Gabriel, früherer Bundesminister unter anderem in den Ressorts Wirtschaft und Äußeres, gab den Zuhörenden zunächst einen Abriss über die macht- und sicherheitspolitische Situation der Welt, bevor er auf die Bedeutung Europas und Deutschlands als führende, ökonomische Zentren zu sprechen kam. „Wir sind Zeitzeugen einer tektonischen Verschiebung der Machtachsen vom Atlantik zum Indopazifik“, sagte Gabriel. „Und trotz aller geopolitischen Reden ist es Europa bis heute nicht gelungen, eine ernstzunehmende Rolle in der Weltpolitik einzunehmen.“ Seiner Ansicht nach hat Europa nur eine Chance, auf der Weltbühne auch in Zukunft vorn mitzuspielen: als Zentrum wirtschaftlicher Stärke. „Der europäische Binnenmarkt ist immer noch der größte Markt der Welt und wir sind Meister darin, uns immer wieder neu zu erfinden. Wir müssen das ökonomische Potenzial unseres Kontinents wieder heben und ausbauen, wenn wir nicht in Zukunft von Mächten rund um den Indo-Pazifik dominiert werden wollen.“


Momentan jedoch stehen die Zeichen eher auf Stillstand denn auf Aufbruch. Ökonomieprofessor Feld zeigt anhand aktueller Zahlen, dass Deutschlands Wirtschaft auch im gerade erst angebrochenen Jahr in seiner Position der Stagflation verharren wird. „Was wir aktuell erleben, ist keine schwere Krise wie die Coronapandemie oder die Finanzkrise, bei der das Wirtschaftswachstum um vier bis fünf Prozent absackt. Aber wir befinden uns in einem unangenehmen Umfeld, das alle Beteiligten von Konsumenten bis Investoren verunsichert.“


Diese Einschätzung teilt Schmidt, der neben seiner Tätigkeit als Kuratoriumsvorsitzender der SNIW auch Hauptgeschäftsführer von 15 Arbeitgeberverbänden unter dem Dach von NiedersachsenMetall ist. Er kennt die Auswirkungen der Krisen, in denen sich die allermeisten deutschen Betriebe aktuell befinden, aus zahlreichen Gesprächen mit Mitgliedsfirmen. Schmidt kritisiert, dass neben den äußeren Einflüssen wie Energiepreise und Lieferengpässen die Politik seit Jahren massiv dazu beitrage, die Unsicherheit in der Wirtschaft zu schüren. „Die deutsche Volkswirtschaft befindet sich in einer schweren Krise, und die ist im wesentlichen hausgemacht“, konstatiert er. „Das Vertrauen in die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland erodiert, das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft erodiert, das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates ist dahin.“ Das liege vor allem daran, dass die aktuelle Bundesregierung fleißig Ziel um Ziel ausgebe, jedoch Antworten schuldig bleibe, wie diese Ziele realistisch erreicht werden können. Als Beispiel nennt er unter anderem die Wärmewende, die Energiewende und die Verkehrswende. „Wir sind weltmeisterlich im Setzen von Zielen. Nur: Ziele zu setzen, bedeutet noch lange nicht, der Lösung des Ziels auch nur einen Schritt nähergekommen zu sein.“


Aus Sicht des Elder Statesman Gabriel führe ohnehin nur ein Weg aus der Krise: „Ich glaube, dass es trotz der Machtverschiebungen zu Ungunsten Deutschlands möglich ist, das Wohlstandsniveau in unserem Land zu halten und auszubauen.“ Dazu sei es jedoch einen nötig, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass die Bundesrepublik nicht auf einer Insel der Glückseligkeit liege. „Wir müssen wieder die Ärmel hochkrempeln und uns stärker anstrengen als in den vergangenen Jahren.“ Darin liegt laut Gabriel auch etwas Mutmachendes: „Ein Blick in die Geschichte unseres Landes zeigt, dass es uns in der Vergangenheit schon so oft gelungen ist, uns in ausweglos scheinenden Krisen völlig neu zu erfinden. Darin liegt unsere Stärke, in Europa und in der Welt.“



Get Together: Bekannte Gesichter und angeregte Gespräche


Dieser Ansicht stimmen auch zahlreiche Gäste zu. Nach dem Ende der Debatte drehen sich viele Gespräche beim anschließenden „Get Together“ um ebendiese Fragen: Wie kann die deutsche Wirtschaft die aktuellen Krisen meistern und trotzdem die Zukunft nicht aus dem Blick verlieren? Wo steht dabei Niedersachsen, etwa mit seinen hervorragenden Voraussetzungen für Energieerzeugung und -import? Und: Bräuchte es nicht gerade in Krisensituationen wie diesen mehr externe Expertise für die Politik – so, wie es mit der Gründung des früheren Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung seinerzeit beabsichtigt war?

„Wir wollen mit unserem ,Kamingespräch‘ in lauschiger Atmosphäre Denk-Anstöße geben, die unmittelbar die Schnittstelle zwischen Wirtschaftswissenschaft und Politik beleuchten“, erklärt Schmidt das Konzept hinter den „Kamingesprächen“, zu denen die SNIW künftig zweimal im Jahr einladen will. Die Veranstaltung soll den politikberatenden Ansatz des 2016 geschlossenen Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung (NIW) weiterführen. „Und vielleicht besinnt sich ja eines Tages auch die Landespolitik, dass die Ergebnisse dieser Gespräche es wert sind, in mehr als nur in Schriftform dokumentiert und festgehalten zu werden“, fügt Schmidt hinzu.




bottom of page