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Technologie

14. Oktober 2024

Wie gefährlich ist Künstliche Intelligenz für Wirtschaft und Gesellschaft?

Die Veröffentlichung des Chatbots ChatGPT durch OpenAI hat zu einer weltweiten Begeisterung für Künstliche Intelligenz (KI) geführt, die sich zwischen Hype und Hysterie bewegt. Wird KI die Welt in ein Paradies verwandeln oder stellt sie ein „Auslöschungsrisiko“ für die Menschheit dar, wie OpenAI-Chef Sam Altman selbst einräumte? KI-Fachleute aus Norddeutschland rufen in der Debatte um die Zukunftstechnologie zu mehr Bodenständigkeit, aber auch zu mehr Mut bei Investitionen in Künstliche Intelligenz auf.

„Wir müssen die Potenziale von Künstlicher Intelligenz am Wirtschaftsstandort Deutschland erkennen und auch gestalten. Wir dürfen das nicht einfach so geschehen lassen“, forderte Wirtschaftsinformatikerin Prof. Doris Weßels von der Fachhochschule Kiel bei einer Expertenrunde im hannoverschen Landesmuseum. Die gebürtige Südoldenburgerin hat schon vor fünf Jahren, also lange vor der Veröffentlichung von ChatGPT, festgestellt: „Was wir da erleben, ist keine Gerade, das ist eine exponentielle Entwicklung.“ Die Tech-Riesen Google, Amazon, Meta (ehemals Facebook), Microsoft und mit etwas Verspätung auch Apple hätten die Zeichen der Zeit rechtzeitig erkannt. „Die europäische Antwort darauf ist aber sehr bedauerlich ausgefallen“, sagt Weßels. Außer dem deutschen Software-Konzern SAP oder dem französischen KI-Startup „Mistral AI“ hätten die Europäer der Innovations- und Marktmacht aus den USA bislang wenig entgegenzusetzen.


„Europa muss viel Geld in die Hand nehmen“, sagt auch KI-Grundlagenforscher Prof. Henning Wachsmuth von der Leibniz-Universität Hannover (LUH). Investitionsbedarf sieht er aber nicht nur bei den Unternehmen, sondern auch im öffentlichen Bereich. „Die Wirtschaft hat nicht die Aufgabe und den Anspruch, dass KI im Sinne der Gesellschaft entwickelt wird. Wenn es um Werte geht, ist die akademische Welt immer noch der erste Ansprechpartner“, betont Wachsmuth. Wenn Europa noch einen entscheidenden Einfluss auf die KI-Entwicklung ausüben wolle, müsse man jetzt handeln.


„KI wird immer an den Wertekanon gebunden sein, vor dessen kulturellem Hintergrund sie entwickelt wurde.“

„Je mehr KI auf Daten basiert, umso mehr wird KI bestimmte Wertvorstellungen übernehmen“, erläutert der Computerlinguist und fügt hinzu: „KI wird immer an den Wertekanon gebunden sein, vor dessen kulturellem Hintergrund sie entwickelt wurde.“ Großes Entwicklungspotenzial sieht Wachsmuth in der Spezialisierung von KI-Anwendungen, die bisher vor allem einen generalistischen Ansatz verfolgen. „Man kann solche Modelle weiterentwickeln und auf ein bestimmtes Problem zuschneiden. Dadurch können wir Anwendungsfälle besser lösen als das jetzt ChatGPT kann“, so der KI-Professor.

KI-Chefin Corina Apachite vom hannoverschen Autozulieferer und Reifenhersteller Continental sieht die aktuelle Aufregung rund um Künstliche Intelligenz kritisch. „Ich gehe nicht mit bei dem Begriff ‚Hype‘. Ich habe KI studiert – einfach so“, sagt Apachite, die im Technologiekonzern auf das Know-how von rund 1200 KI-Experten im Konzern zurückgreifen kann. Autonomes Fahren sei schon in den 1980er Jahren mit 80 Stundenkilometern möglich gewesen. Die Frage, um die es nun gehe, laute: „Können wir beim autonomen Fahren hundertprozentige Sicherheit garantieren?“


„KI ist keine risikofreie Technologie“

Die Algorithmen dafür seien schon vorhanden, die große Herausforderung liege jedoch im „Open-World-Scenario“, also in der Interaktion des fahrerlosen Fahrzeugs mit der Umwelt. Für die Conti-Expertin ist klar: Am Ende machen die Daten den entscheidenden Unterschied. „Wir müssen zu einer Data-Sharing-Economy kommen“, sagt die gebürtige Rumänin. Damit autonomes Fahren sicher wird, müssten nicht nur die Autos, sondern auch die Infrastruktur und Cloudspeicher untereinander Daten austauschen. „KI ist keine risikofreie Technologie. Wenn man sie dumm anwendet, wird man schwer bestraft werden“, warnt die Informatikerin.


Lena Eckroth, KI- und Digitalisierungs-Chefin bei Rossmann, sieht Künstliche Intelligenz als „Wettbewerbsvorteil und Chance für den Handel“. Die Drogeriemarktkette aus Langenhagen hat ein zwölfköpfiges, interdisziplinäres Expertenteam eingerichtet, um praktische Anwendungen für KI innerhalb des Konzerns zu finden. „Wir Menschen mögen im Prinzip keine Veränderungen. Wenn man aber zeigt, wie diese Technologie einem hilft, kann man das auch in positive Energie umwandeln“, sagt Eckroth. Rossmann setzt Künstliche Intelligenz bereits bei Office-Anwendungen oder im Marketing ein. Eine KI für den Unternehmenseinsatz anzutrainieren sei allerdings eine aufwendige Maßnahme. „Da entsteht eine Kluft zwischen den Unternehmen, die sich das leisten können, und denen, die einfach etwas kleiner sind“, mahnt Eckroth.


Sprechen in Hannover über die KI-Revolution: Prof. Henning Wachsmuth (Uni Hannover), Lena Eckroth (Rossmann), Moderator Ranga Yogeshwar, Prof. Doris Weßels (FH Kiel), Julian Ehrenfels (Techniker Krankenkasse) und Corina Apachite (Continental). | Foto: Ideen-Expo



KI im Gesundheitsbereich: Heilsbringer oder Albtraum?

Wenn es um den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Gesundheitsvorsorge geht, liegen Utopie und Dystopie so nah beieinander wie in keinem anderen Bereich. Was passiert, wenn Krankenversicherer die Lebenserwartung und die Versicherungsaufwendungen per KI punktgenau berechnen können? „Für Versicherungen, die Gewinne erzielen müssen, ist das verlockend. Aber nur weil es technisch möglich ist, muss das nicht unbedingt auch ausgereizt werden“, sagt KI-Experte Julian Ehrenfels von der Techniker Krankenkasse (TK). Im schlimmsten Fall könne dieses Rosinenpicken der Privatversicherer sogar zu einem Zusammenbruch des Solidarsystems in der gesetzlichen Krankenversicherung führen, warnt der TK-Vertreter.


Bislang würden aber die Vorteile der KI überwiegen: Von der Hautkrebserkennung per Bildanalyse bis zur Parkinson-Früherkennung durch Sprachmustererfassung biete die Künstliche Intelligenz schon jetzt viele Möglichkeiten. Dass derartige Anwendungen jedoch allein schon bei Benutzung eines Fitness-Trackers oder bei ChatGPT am Smartphone im Hintergrund mitlaufen könnten, sieht Ehrenfels dagegen kritisch. Er warnt vor allem vor positiven Diagnosen, die sich später als falsch herausstellen. Eine Zukunftsanwendung für KI in der Krankenversicherung sieht der TK-Experte jedoch nur positiv: Bild- und Texterkennung im Schriftverkehr. „So ein Arztbrief ist manchmal sehr lang und auch nicht so leicht zu lesen für die Sachbearbeitung“, sagt Ehrenfels. Hier könne KI die Abläufe erheblich beschleunigen.


„Die gesellschaftliche Zersplitterung nimmt zu, weil die Zersplitterung der digitalen Welt zunimmt.“

Prof. Doris Weßels macht noch auf ein anderes KI-Problem aufmerksam: „Die gesellschaftliche Zersplitterung nimmt zu, weil die Zersplitterung der digitalen Welt zunimmt“, sagt die Hochschulprofessorin. Die Gefahr, dass Menschen oder Personengruppen in ihrer eigenen digitalen Welt den Anschluss verlieren, werde immer größer. Dafür würden auch neue digitale Formate wie etwa die Dating-Plattform „Replika“ sorgen. Hier werden Menschen nicht mit anderen Menschen, sondern mit KI-Beziehungspartnern verkuppelt. „Das ist schon ein riesiger Markt, der nur noch nicht so bekannt ist“, sagt Weßels.


Es muss aber nicht gleich das KI-Dating sein. Auch bei der ganz normalen Nutzung auf dem Smartphone werde ChatGPT dank personalisierter Sprachausgabe zum digitalen Kumpel. Durch die Stimmprofile namens Juniper, Sky, Ember, Breeze oder Cove bekommt die KI eine Persönlichkeit, auf die sich die Nutzer auch emotional einlassen. „Das nimmt die Form an, dass man sich an seinen digitalen Begleiter gewöhnt. Und wenn der fehlt, ist das Mist.“

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